Rachefeldzug mit Bulldozern
VON DOMINIC JOHNSON
die tageszeitung vom 26. Juli 2005: taz Nr. 7725, Seite 4:
Ein UN-Bericht zieht eine vernichtende Bilanz von Simbabwes Politik, so
genannte informelle Siedlungen zu zerstören und ihre Bewohner zu
vertreiben
Die Bilanz ist verheerend. 700.000 vom Staat obdachlos gemachte Menschen,
bei einer Einwohnerzahl von 11,5 Millionen, bilanziert ein
UN-Untersuchungsbericht als Ergebnis der staatlichen Slumräumungen in
Simbabwe seit Mai. "Operation Murambatsvina" - Operation Müllentsorgung -
nennt Simbabwes Regierung ihren Feldzug gegen "informelle" Siedlungen; von
"Operation Tsunami" sprechen die Betroffenen. "Hunderttausende von
Männern, Frauen und Kindern haben ihre Heimat verloren und haben keinen
Zugang zu Nahrung, Wasser, sanitären Einrichtungen oder
Gesundheitsversorgung", so der am Freitagabend veröffentlichte UN-Bericht.
"Die überwiegende Mehrheit der direkt und indirekt Betroffenen sind die
armen und benachteiligten Teile der Bevölkerung."
Jahrelang behauptete Simbabwes Machtelite um den seit 25 Jahren
herrschenden Präsidenten Robert Mugabe, sie wolle für die schwarze
Bevölkerungsmehrheit nur das Beste: Die Besetzung kommerzieller Großfarmen o
im Besitz von Weißen nütze landlosen Schwarzen, die Unterdrückung von
Gegnern verringere den Einfluss der Exkolonialmacht Großbritannien,
Simbabwe befinde sich an der Spitze einer afrikanischen Revolution gegen
den Neokolonialismus. Aber jetzt sind es der aus Afrika stammende
UN-Generalsekretär Kofi Annan und die UN-Sonderbeauftragte Anna Kajumulo
Tabaijuka, ebenfalls aus Afrika, als Chefin des UN-Siedlungsprogrammes
"Habitat", die vernichtend Mugabes Wirken kritisieren.
Zivilgesellschaftliche Gruppen aus Simbabwe selbst haben seit dem Beginn
der Zerstörungsaktionen aufrüttelnde Berichte vorgelegt: Überfälle von
Armee und Polizei mitten in der Nacht; Zerstörung der gesamten Habe armer
Familien vor ihren Augen; herumirrende Menschen zu Tausenden in den kalten
Nächten des derzeitigen Winters auf der südlichen Erdhalbkugel.
Sogar die Behörden versuchten oft nicht mehr, das zu beschönigen. "In den
Kooperativen Nyadzonia und Chimoio herrschten Drama und Chaos, als gegen
vier Uhr nachmittags rund 25 Polizeilastwagen mit quietschenden Bremsen
anrückten und rund 250 Polizisten in die Siedlung liefen", berichtete die
Regierungszeitung Herald. "Innerhalb von Minuten machten zwei Bulldozer
die illegalen Hütten dem Erdboden gleich, während ihre Bewohner in Panik
versuchten, ein wenig von ihrer Habe herauszuziehen".
Der unabhängige "Solidarity Peace Trust" berichtete Ende Juni, wie
Menschen per Lastwagen auf verlassene Farmen gebracht wurden - wo sie sich
dann nur mit Plastiktüten gegen die kalten Nächte schützen können. Der
UN-Bericht nennt Orte, wo zehntausende Menschen unter freiem Himmel
gehaust haben, viele davon erkrankt - ein Viertel der Bevölkerung ist
HIV-positiv.
Offiziell erklärten die Behörden, sie wollten einfach ungenehmigte Bauten
zerstören, um Recht und Ordnung durchzusetzen; ihre Aktionen gingen einher
mit der Zerstörung von Straßenmärkten und der Festnahme tausender
fliegender Händler. Doch ganz abgesehen davon, dass die meisten Menschen
in Simbabwe keine Alternative zur informellen Wirtschaft haben, fielen
auch legale Siedlungen den Bulldozern zum Opfer - Häuser von
Bürgerkriegsveteranen, eigentlich Anhänger des einstigen antikolonialen
Befreiungskämpfers Mugabe; oder auch Kooperativen, die gerade erst
offizielle Eigentumstitel erhalten hatten. Die üblichen Fristen, die zur
Räumung "illegaler Strukturen" vorgesehen sind, wurden meistens sowieso
nicht eingehalten. Das einzige konstante Muster: Betroffen waren Gegenden,
die bei den Wahlen vom März für die Opposition gestimmt hatten.
Der Bericht der UN-Untersuchungskomission nennt auf der Grundlage
offizieller Daten vom 7. Juli präzise Zahlen: 92.460 zerstörte Häuser mit
133.534 Haushalten, was nach der durchschnittlichen Haushaltsgröße in
Simbabwe 569.685 Personen bedeutet. Dazu kommen 32.538 zerstörte
Kleinunternehmen, von denen 97.614 Menschen lebten. Zusammen mit rund
40.000 Festnahmen seien also 650.000 bis 700.000 Menschen direkt von der
"Operation Murambatsvina" betroffen, so der Bericht. Indirekt betroffen -
durch den Verlust von Mieteinnahmen, anderer Einkommensquellen oder
Arbeitsplätze - seien 2,1 Millionen Menschen. Mit Überschneidungen und
Auslassungen könne man von 2,4 Millionen Betroffenen insgesamt ausgehen.
Die Wirkungen gehen aber noch tiefer. "Der informelle Sektor ist praktisch
ausgelöscht worden", bilanziert der Bericht. Die informelle Wirtschaft
beschäftigte schon 1998 40 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung des
Landes. Seitdem ist auch die formelle Wirtschaft zu großen Teilen
planmäßig zerstört oder in den Bankrott getrieben worden. Von Simbabwes
Volkswirtschaft, einst eine der stärksten Afrikas, ist also so gut wie gar
nichts mehr übrig.
Die UN-Untersuchungskommission verließ Simbabwe am 8. Juli nach zwei
Wochen Aufenthalt. Eine Woche später erklärte Simbabwes Regierung einen
Stopp der Vertreibungen. Aber noch letztes Wochenende dauerte die Gewalt
an. In Porta Farm außerhalb der Hauptstadt Harare rückte die Armee in eine
Siedlung mit 15.000 Einwohnern ein und brachte die Menschen mit Lastwagen
weg. In der Stadt Bulawayo räumten Sicherheitskräfte Kirchen, in denen
Vertriebene Zuflucht gefunden hatten. Die Menschen wurden erst auf die
verlassene Farm Helensvale gebracht und dann wieder verscheucht,
berichteten südafrikanische Medien.
"Jetzt werden sie im Busch abgesetzt", wurde ein Menschenrechtsaktivist
zitiert. "Man sagt den Leuten, dass sie ins Gefängnis kommen, wenn sie
keine ländliche Region nennen, in die sie hinkönnen. Wer nicht in Simbabwe
geboren wurde, kriegt gesagt, dass er auf eine Farm in Mashonaland kommt
und nie mehr hinausdarf. Oder dass man ihn in den Sambesi-Fluss wirft."
Letzte Änderung: Thursday, 30-Mar-2006 22:01:44 CEST
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